Der gute Egoismus – warum Veränderung bei mir beginnt
Darum geht’s …
Es gibt einen Egoismus, der nicht trennt, sondern verbindet. Einen, der uns zurück zu uns selbst führt – und damit erst ermöglicht, anderen klarer, liebevoller und präsenter zu begegnen. Dieser Artikel erzählt von dieser stillen Form der Selbstfürsorge und davon, warum echte Veränderung genau hier beginnt
Neulich, in einem Gespräch mit Karin für unseren Podcast, tauchte dieser Begriff wieder auf. Ein Zitat brachte uns ins Nachdenken: dass Menschen ihr Verhalten nur dann wirklich verändern, wenn sie einen egoistischen, intrinsischen Grund dafür haben.
Ich merkte, wie sich in mir etwas sträubte. Vielleicht, weil ich Egoismus lange mit Rücksichtslosigkeit verbunden habe. Oder weil wir gelernt haben, zuerst an andere zu denken – und uns selbst dabei leise aus dem Blick zu verlieren. Und gleichzeitig spürte ich: Da liegt eine Wahrheit drin, die ich aus meinem eigenen Leben nur zu gut kenne.
Es gibt Momente, in denen ich klar fühle, dass mir etwas nicht guttut. Ein Muster, das mich erschöpft. Ein Reflex, der mir Beziehungen schwer macht. Eine Erwartung, die ich schon viel zu lange erfülle. Und erst dann – erst wenn ich in Kontakt mit mir selbst bin – entsteht die Bereitschaft, etwas zu verändern.
Vielleicht ist es genau das, was dieser „gute Egoismus“ meint: Die Fähigkeit, auf mich zu hören und mich ernst zu nehmen. Und Entscheidungen zu treffen, die mir guttun, ohne anderen zu schaden. Ein Egoismus, der nährt statt trennt.
Warum wir bei „Egoismus“ zusammenzucken
Der Begriff ist belastet. Wir verbinden ihn mit Selbstbezogenheit, Dominanz, mangelnder Rücksicht. Mit Menschen, die nehmen, ohne zu geben. Kein Wunder, dass viele von uns innerlich zurückschrecken, wenn dieses Wort in einem Gespräch auftaucht.
Doch wie so oft lohnt sich ein zweiter Blick. Denn Egoismus hat zwei Seiten:
eine destruktive, die wir gut kennen – und eine andere, stillere Seite, die oft übersehen wird. Eine Seite, die mit Selbstrespekt zu tun hat und mit Würde. Mit Aufrichtigkeit gegenüber uns selbst.
Der Egoismus, der nährt – nicht trennt
Im Podcast erzählte Karin von einer Begegnung, die sie sehr berührt hat. Eine Ärztin, die sich seit Jahren für traumatisierte Menschen engagiert, sagte ihr einmal:
„Ich kann anderen nur helfen, wenn ich zuerst für mich schaue, dass es mir gut geht.“
Dieser Satz ging mir tief nach. Er widerspricht der romantischen Vorstellung, immer für andere da zu sein. Aber er entspricht der Realität unseres menschlichen Nervensystems und unserer emotionalen Kapazität. Wenn ich ständig über meine Grenzen gehe, werde ich dünnhäutig. Ich werde schneller ungeduldig, klarer in der Stimme, schärfer in den Reaktionen. Ich verliere die Fähigkeit, zuzuhören – und die Fähigkeit, mich selbst zu spüren.
Der gute Egoismus kann mich davor schützen. Er holt mich zurück zu dem, was gerade lebendig ist in mir. Er erinnert mich daran, dass ich nur dann für andere da sein kann, wenn ich innerlich nicht ausgehöhlt bin.
Veränderung geschieht nicht durch Wissen – sondern durch Selbstkontakt
Wir alle wissen, was uns gut täte. Oft sogar sehr genau. Wir wissen, dass bestimmte Muster uns schaden. Dass wir besser zuhören möchten. Dass es uns gut tun würde, weniger zu reagieren und mehr wahrzunehmen. Dass wir nicht alles tragen müssen, was andere von uns erwarten. Aber Wissen allein verändert wenig.
Erst wenn ich fühle, wie sehr mir etwas nicht guttut – erst dann entsteht die Bereitschaft, etwas zu ändern. Genau das meinte das Zitat im Podcast: Verhaltensänderung geschieht selten aus Pflicht oder Moral. Sie entsteht, wenn wir erkennen: Ich will das nicht mehr. Oder: Ich wünsche mir etwas anderes. Oder: Ich spüre, dass mir etwas fehlt – und dass die Veränderung mich nährt.
Dieser Kontakt mit sich selbst ist der Anfang. Die intrinsische Motivation.
Kleine Beispiele aus dem Alltag
Es muss nicht spektakulär sein. Manchmal zeigt sich der gute Egoismus in kleinen, feinen Entscheidungen:
Wenn ich müde bin
und merke: Ein Abend für mich würde mir heute besser tun als ein Treffen, bei dem ich erschöpft und fahrig wäre.
Wenn ich Kritik bekomme
und ich einen Moment innehalte, statt reflexhaft zu reagieren. Ich frage mich: Trifft da etwas? Welche Möglichkeiten habe ich, darauf zu antworten.
Wenn ich mich abgrenze:
Nicht um andere wegzustossen, sondern um innerlich dazubleiben.
Wenn ich JA sage:
Weil etwas mich stärkt und nicht, weil ich niemanden enttäuschen will.
Solche Momente sind leise. Aber sie wirken.
Der Denkraum: Wo guter Egoismus sichtbar wird
In meinen Seminaren und Gesprächen erlebe ich immer wieder: Sobald Menschen einen Raum haben, um sich selbst zuzuhören, klärt sich etwas in ihnen. Sie spüren deutlicher, was ihnen gut tut – und was nicht. Sie erkennen, welche Muster sie kraftlos machen.
Sie merken, welche Erwartungen sie loslassen dürfen. Zuhören ohne Unterbruch, langsames Denken, der Respekt vor dem eigenen Tempo – das alles öffnet einen Raum, in dem Menschen sich selbst wiederfinden.
Und aus diesem Selbstkontakt entsteht die Art von Veränderung, die trägt. Nicht die erzwungene. Nicht nur die moralische. Sondern die intrinsische, die wächst.
Und dafür stehe ich
Guter Egoismus heisst nicht, sich über andere zu stellen. Er heisst auch nicht, sich einzukapseln. Er bedeutet, sich selbst so ernst zu nehmen, dass Beziehung möglich bleibt. Dass Zuhören möglich bleibt. Dass Veränderung möglich wird.
Es ist die Art von Egoismus, die uns weicher macht, nicht härter. Klarer, nicht lauter. Präsenter, nicht selbstbezogener. Vielleicht beginnt echte Fürsorge genau dort:
bei der Bereitschaft, auf sich zu hören – mit Aufmerksamkeit, mit Respekt, mit Mut und mit Mitgefühl. Und vielleicht entsteht daraus etwas, das weit über uns hinaus wirkt.
Weiterhören & Weiterdenken
Wenn dich dieses Thema angesprochen hat: In unserer Podcast-Folge 21 sprechen Karin und ich genau darüber – persönlich, offen und mit vielen Beispielen aus dem Alltag.
➡️ „DenkSeiDank“, Folge 21: Verhaltensänderungen im Alltag
Ein kleiner Ausblick
Im Februar 2026 öffne ich wieder einen dreitägigen Denkraum für Menschen, die ihre Kommunikationsmuster tiefer erforschen möchten. Dort erlebe ich immer wieder, wie „guter Egoismus“ ganz natürlich entsteht: wenn Menschen sich selbst zuhören, sich ihrer Bedürfnisse bewusster werden und mutiger werden, Neues auszuprobieren.
Wer Lust hat, seine eigene innere Klarheit (und damit auch die eigene Ausstrahlung und Präsenz in Gesprächen) zu vertiefen, ist herzlich eingeladen, sich frühzeitig zu informieren
„Wenn du zuhörst, kann ich anders denken“ – 11.–14. Februar 2026 in Götzis